Der Drache – Brandaktuelle Bühnensatire am Rhein-Sieg-Gymnasium

Ohne Russland geht im Sommer 2018 nichts: Dort kämpfen die besten Fußballnationen der Welt (und Deutschland) um den WM-Titel. Und am RSG inszenierte der Literaturkurs der Q1 die Märchensatire „Der Drache“ des Russen Jewgeni Schwarz. Mit zwei Aufführungen am 20. und 22. Juni  begeisterte das  Ensemble die Zuschauer. Eine Rezension von Yannik Simstich:

Als satirische Märchenkomödie hat der Literaturkurs sein Stück beworben. Und in der Tat ist Der Drache Satire, Märchen und Komödie zugleich; und dazu noch eine beißende Kritik der
autoritären Gesellschaftssysteme des Nationalsozialismus und des Stalinismus. Nicht umsonst fiel Jewgeni Schwarz’ Stück 1943 der sowjetischen Zensur zum Opfer. Erst in den 1960er Jahren
wurde die Aufführung möglich – ab 1965 auch mit großem Erfolg im Deutschen Theater in Berlin. (Handlung siehe unten.)

Mit vielen klugen Entscheidungen in Sachen Bühnenbild und Kostüm gelingt es dem Kurs unter der Regie von Tanja Beeck und Hawe Kemen, sowohl die satirischen als auch die märchenhaften Elemente des Stücks zu beleuchten. Kameras
und dauernd laufende Überwachungsbänder spiegeln die Tyrannei des Überwachungsstaats. Als Symbol der autoritären Gesellschaft tragen die Darstellerinnen und Darsteller allesamt
Halsbänder, die auch den Sieg Lanzelots über den Drachen überdauern. Und selbst vor grellgrünem Graffiti, lauten Computer-Soundeffekten und sogar einem Theremin (am besten googeln!) macht die Inszenierung nicht halt.

Unter der Leitung des Regieduos aus Tanja Beeck und Hawe Kemen hat das Ensemble aus der Jahrgangsstufe elf nicht nur Kulisse, Kostüme und Requisiten selbst angefertigt. Auch die schauspielerische Leistung der dreizehn Darsteller begeistert. Als einzige Stimme der Vernunft und der Demokratie überzeugt Niklas Schubert in der Rolle des mutigen und pflichtbewussten Ritters Lanzelot. Besonders gelungen sind die Szenen, in denen Lanzelot mit den drei wechselnden Gestalten des Drachen interagiert. Diese werden von den drei Darstellern mit dynamischen und grundverschiedenen Interpretationen zum Leben erweckt: Anna Stroß als soldatischer Schreihals, Fabian Brück als brutaler Choleriker und Johanna Berhausen als eiskalte Vollstreckerin. Julia Weiß spielt sich als Jungfrau Elsa in die Herzen des Publikums und zeigt eine beeindruckende Bandbreite an Emotionen und Gemütszuständen. Das gleiche gilt für Leon Holzky in der Rolle von Elsas Vater Charlesmagne – hin- und hergerissen zwischen der Sorge um seine Tochter und seiner Untertänigkeit. Esther Druschke, Laura Annen und Jessica Gal giggeln und seufzen  als angeblich todtraurige Freundinnen Elsas um die Wette.

In einem durchweg starken Ensemble ragt Anna-Britt Wegmann in der Rolle des geisteskranken aber ebenso gerissenen Bürgermeisters heraus. „Glauben Sie denn es sei leicht, unter einem Drachen Bürgermeister zu sein?“, kreischt sie Lanzelot bei ihrem ersten Auftritt entgegen. In Zwangsjacke und mit Trump-Frisur poltert sie schrill, laut und hysterisch lachend über die Bühne, unterhält sich mit Teetassen und mimt eine psychische Erkrankung nach der anderen. Neben ihr brilliert Luca Wetz als hinterlistiger Bürgermeister-Sohn Heinrich, der seinen Vater, Elsa und vermutlich alles andere nur liebend gerne für ein wenig mehr Macht verkaufen würde. In der Rolle der unangebracht fröhlichen Kerkermeisterin besticht Katharina Erdmann. Grandios ist auch Yanik Baumgartens Auftritt als sprechender Kater Mariechen, der fälschlicherweise für eine Katze gehalten wird. Wenn er einem Wollknäul hinterherjagt, über die Bühne tigert und ausgiebig miaut, wirkt das fast unheimlich katzenhaft.

Wie eine solche Inszenierung trotz Tyrannei, Drachen und Überwachung komisch sein kann, zeigt das Ensemble mit Bravour: Die Charaktere des Bürgermeisters, des Kerkermeisters und der
drei Freundinnen Elsas sind so gekonnt überzeichnet, dass es eine wahre Freude ist zuzusehen. Und auch die ernsteren Rollen können mit einigen Lachern aufwarten. So ist es nicht verwunderlich, dass an beiden Vorstellungsabenden immer wieder Szenenapplaus aufbrandet. Die köstlichste Szene des Auftritts ist jedoch der Kampf zwischen Lanzelot und dem dreiköpfigen Drachen. Der Zuschauer sieht diesen nicht direkt, er sieht lediglich die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt, die gebannt in den Himmel starren und sich über die Schlacht austauschen. Während der Drache dabei ganz offensichtlich den Kürzeren zieht, verbreiten seine Lakaien am Boden immer dreistere Lügen und Propaganda, um diesen Eindruck zu zerstreuen. Der Sekretär des Drachen betritt die Bühne dabei stets stilecht mit Fanfarenklang und Kommuniqué mit deutlich sichtbarer Trump-Unterschrift.    

Im Gegensatz zu vergangenen Komödien am Rhein-Sieg-Gymnasium ist Der Drache aber mehr als nur harmloser Spaß. Die Inszenierung ist unbequem und unbehaglich – eben Satire im besten Sinne. Wer zusieht, wie die phlegmatischen Bürgerinnen und Bürger der Stadt nach ihrer Befreiung wieder in den Autoritarismus taumeln, der kommt nicht umher, an die beunruhigenden politischen Entwicklungen der letzten Jahre zu denken. In einer Welt, in der scheinbar unantastbare demokratische Strukturen ins Wanken geraten, ist Der Drache ein Weckruf. Der Literaturkurs der Jahrgangsstufe elf belässt es aber es aber nicht bei einer Warnung, es wird noch direkter: „Demokratie ist Arbeit“, mahnt Lanzelot in der Abschlussszene. Und aller Widrigkeiten zum Trotz bleibt er optimistisch. Vorhang zu. So geht Satire.

Zum Plot: Seit 400 Jahren wird die namenlose Kleinstadt von einem Drachen tyrannisiert. Der monströse Herrscher diktiert nicht nur Regeln und Erlasse, sondern fordert von der Stadtbevölkerung auch jährlich eine Jungfrau als Tribut. Als der Ritter Lanzelot (Niklas Schubert) sich in die Stadt verläuft, weiß der berufsmäßige Held natürlich sofort, was zu tun ist: Er will den Drachen niederstrecken, die Stadt von seiner Schreckensherrschaft befreien und so nebenbei die Gunst der Jungfrau Elsa (Julia Weiß) gewinnen, die in diesem Jahr dem Drachen geopfert werden soll. Aber ganz so einfach ist es nicht. Denn zu Lanzelots Entsetzen kann das Stadtvolk mit seinem heldenhaften Plan so gar nichts anfangen. Nach Jahrhunderten der
drakonischen Tyrannei haben sich die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Schicksal arrangiert und sogar eine angsterfüllte Zuneigung zu ihrem Herrscher entwickelt. So muss Lanzelot dem
dreiköpfigen Drachen (in drei Gestalten: Anna Stroß, Fabian Brück und Johanna Berhausen) unbewaffnet und alleine entgegentreten. Nur der Kater Mariechen (Yanik Baumgarten), Elsa und ihr besorgter Vater Charlesmagne (Leon Holtzky) und die Handwerker der Stadt (u.a. Laura Annen, Jessica Gal, Katharina Erdmann und Esther Druschke) stehen dem Ritter mit Rat und Geschenken zur Seite. Nach einer guten Stunde ist der Drache dann tatsächlich tot und Lanzelot tödlich verwundet. Doch von Freiheit träumt die Stadt nur kurz. Denn schon stehen der irre Bürgermeister (Anna-Britt Wegmann) und sein verschlagener Sohn Heinrich (Luca Wetz) bereit, die Tyrannei fortzuführen.