„König Lear“ – Theaterkurs RSG bringt Shakespeares Tragödie auf die Bühne Juni 2015
von Yannik Simstich
Nach zwölf Jahren (2003 Sommernachtstraum) wagte sich der Literaturkurs des Rhein-Sieg-Gymnasiums im Juni 2015 einmal mehr an ein Werk von William Shakespeare: König Lear. Zweimal (11., 13.06) hauchten die 22 Schauspielerinnen und Schauspieler der Jahrgangsstufe 11 der Tragödie des Großmeisters unter der Leitung und Regie von Tanja Beeck und Hawe Kemen Leben ein und begeisterten hunderte Zuschauer.
Ein großes, halbgeöffnetes Tor prägt die Kulisse, prächtige Schilde zeigen die Wappen und Embleme der Königshäuser und Adelsfamilien, Diener und Ritter tummeln sich, Fanfaren erklingen, der König tritt auf. So beginnt die Inszenierung, mit der die Darsteller das Publikum ins mittelalterliche England entführen, in einen Kampf um Macht und Ansehen, in ein Netz aus Intrigen und Verrat.
Zum Plot: Der alternde König Lear (Johanna Gummel) will zur Regelung seines Nachlasses das Königreich unter seinen drei Nachkommen aufteilen. Während die Töchter Goneril (Laura Wang) und Regan (Julia Elbern) ihrem Vater aus Gier Zuneigung vorspielen, gesteht Cordelia (Chantal Kranich), die jüngste Tochter, dass sie ihren Vater nicht mehr liebe, als es für eine Tochter nur natürlich sei. Gekränkt verstößt Lear Cordelia, ehe er sein Reich zwischen seinen anderen beiden Töchtern und ihren jeweiligen Gatten aufteilt, dem Herzog von Cornwall (Bea Wahlen) und dem Herzog von Albany (Fabian Hitz). Während der Krieg Englands gegen Frankreich unmittelbar bevorsteht, bemühen sich Goneril und Regan weiter um die Entmachtung ihres Vaters. Zur gleichen Zeit nutzt Edmund (Alexey Raber), der uneheliche Sohn des Grafen von Gloster (Matthias Boden), die Gunst der Stunde, um einen Keil zwischen seinen Vater und seinen Bruder Edgar (Quentin Nedballa) zu treiben und sich letztendlich Amt und Macht des Grafen zu sichern. Im Vorfeld und im Kontext der finalen Schlacht kreuzen sich die Wege der Protagonisten und kulminieren im Duell zwischen den Söhnen des Grafen und dem Konflikt der Töchter Lears.
Unter der Leitung des Duos Beeck/Kemen gelingt es den Schauspielerinnen und Schauspielern, all dies in monumentalen zweieinhalb Stunden darzustellen. Obwohl der Originaltext um mehr als ein Drittel gekürzt wurde, bleiben am Ende der Aufführung keinerlei Fragen offen. Was bleibt ist Staunen und Bewunderung ob der Leistung des Ensembles: Pointiert und mitreißend ist die Darstellung, ausdrucksstark sind Mimik und Gestik. Statt auf ein opulentes Bühnenbild oder schillernde Showeffekte setzt man auf die schauspielerischen Fähigkeiten der Schüler.
Hier fällt es schwer, einzelne Darsteller hervorzuheben: Julia Elbern, Laura Wang und Alexey Raber verkörpern ihre Rollen als gierige, schurkische Nachkommen ganz exzellent. Alle drei oszillieren zwischen brachialer Grausamkeit, verlogener Heuchelei und hintergründiger Bosheit und sorgen so zeitweise für echtes Unbehagen bei den Zuschauern: Auch Bea Wahlen und Fabian Hitz liefern als die Ehemänner der diabolischen Schwestern großartige Leistungen, wobei besonders letzterer im Verlauf des Stückes scheinbar immer stärker wird. In der eigentlich eher blassen Figur des Dieners Oswald besticht Charlotte Lange mit einer dynamischen Interpretation. Annika Schaper poltert als königstreuer und unbedingt loyaler Graf von Kent über die Bühne, flucht, schimpft und prügelt wie ein Berserker und überzeugt dabei zu jeder Zeit. Ähnlich kraftvoll spielt Quentin Nedballa, der als verstoßener Sohn eine eindrückliche Transformation vom Edelmann zum Landstreicher und zurück durchmacht. Matthias Boden zeigt in seiner Rolle als Graf von Gloster eine ganze Palette an Gefühlen, von Unmut bis hin zum Todeswunsch und trifft damit stets ins Schwarze. Zuletzt darf natürlich die Titelrolle nicht unerwähnt bleiben: Johanna Gummel begeistert mit ihrer Darstellung des Königs von der ersten bis zur letzten Minute und legt ein außergewöhnliches Maß an Wandelbarkeit an den Tag. Mal erhaben, mal im Wahn, mal voller Zuneigung und im nächsten Moment voller Abscheu: All dies und noch mehr ruft die Hauptdarstellerin während ihres Auftritts – der nahezu die gesamte Aufführung umfasst – auf beeindruckende Art und Weise ab.
Neben den Hauptrollen sorgen jedoch auch die kleineren Parts durch passgenaue Besetzung und starkes Spiel für Furore: Von Thiemo Simstich, der den edlen König von Frankreich verkörpert, bis hin zu Sophie Steffens, die als aufmüpfiger Ritter überzeugt, scheinen die Rollen den jeweiligen Schauspielern auf den Leib geschrieben. Für komödiantische Entlastung sorgen in der ersten Hälfte der Tragödie die Narren des Königs (perfekte Paardynamik: Regina Nzola und Alisha Schuhmann), die mit allerlei klugen Sprüchen und Einlagen für Entlastung sorgen und mehr Belustigung hervorrufen, als es manche Komödie vermag.
Neben der darstellerischen Leistung punktet die Inszenierung auch durch die pointierte Nutzung verschiedenster moderner Elemente und Anspielungen: Vom Laptop, mit dem die Truppenbewegungen demonstriert werden soll, über den Fist Bump als Handschlagersatz bis hin zum bacheloresken Rosenkrieg, jeder Verweis und jeder noch so kleine Wink ist ein Treffer ins Schwarze. Hilfreich und zugleich optisch beeindruckend sind die zahlreichen Wappenschilde, die dem Zuschauer vor jeder Szene offenbaren, wo und in welchem Zusammenhang sich selbige zuträgt. Zum Nachdenken regt die Figur Blackwater (Michael Stark) an, die – in Anlehnung an das private Militär und Sicherheitsunternehmen, das bis 2009 unter ebendiesem Namen firmierte – zunächst für Lear, später aber auch für die Herzöge von Cornwall und Albany, den Grafen von Gloster sowie dessen Sohn arbeitet und für seinen jeweiligen Herrn kämpft. Als wirkmächtiges Stilmittel fungiert auch die Maske der Darsteller: Zur zweiten Hälfte der Aufführung verwischen die Gesichter zu Fratzen, parallel zu dem immer dichter werdenden Netz aus Intrigen, finsteren Plänen, Verrat und Brutalität. Dem moralischen Verfall entspricht die allmähliche Vermüllung der Bühne, auf der alle Requisiten, Waffen und Folterwerkzeuge liegenbleiben.
Die Inszenierung des Klassikers König Lear durch den Literaturkurs 2015 überzeugt auf ganzer Linie. Jedes Element ist gelungen, sei es das minimalistische Bühnenbild, die passgenaue Besetzung, die ausdrucksstarke Darstellung oder die prächtigen Kostüme. Alles entstand in Teamarbeit, denn außer dem Schauspiel hatte jeder noch mindestens eine weitere verantwortungsvolle Aufgabe, z.B. in den Bereichen Maske, Technik, Programmheft und Regieassistenz (Eine kleinere Rolle auf der Bühne, aber umso größere Aufgaben hinter der Bühne erfüllten z.B. Tabea Frisch, Annalena Schmidt, Paulina Piwkowski, Julie Hoff, Sarah Uhlenbruch und Matthias Jansen). Einmal mehr hat das erfahrene Regiegespann aus Tanja Beeck und Hawe Kemen bewiesen, dass mit einer Gruppe engagierter Schülerinnen und Schüler, intensiver Übung und ausreichend Zeit beeindruckendes Theater zu machen ist. Selbst Shakespeare hätte vor dieser Leistung seinen Hut gezogen.